Lieferengpässe lassen nach und verlieren Wirtschaftsforschern zufolge als preistreibender Faktor an Bedeutung.
Die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute gehen in ihrem Frühjahrsgutachten 2023 davon aus, dass sich der Preisauftrieb bei Lebensmitteln verlangsamen wird. Eine Reihe von preistreibenden Faktoren verlieren demnach an Bedeutung, heißt es in dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Gutachten. So haben die Lieferengpässe zuletzt spürbar nachgelassen, Unternehmen hätten zudem laut einer kürzlich vorgestellten ifo-Studie angegeben, dass sie kaum noch Preiserhöhungen planen. Höhere Kosten, auch infolge der Energiekrise, hätten die Unternehmen mittlerweile zu einem großen Teil an ihre Kunden weitergereicht.
Straffe Geldpolitik für bessere Wirtschaftsentwicklung
Nach Ansicht der Wirtschaftsforscher dürfte eine straffere Geldpolitik einer kräftigeren Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit dem Preisauftrieb entgegenwirken. Gegen einen allzu raschen Rückgang der Kerninflation sprechen die absehbar hohen Lohnsteigerungen. Zugleich werde die Konjunktur durch die real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte gestützt, wodurch die "Preissetzungsspielräume der Unternehmen für sich genommen hoch bleiben".
Bürger konsumierten 2022 weniger
Die mit der Inflationsdynamik einhergehenden Kaufkraftverluste hatten im Schlussquartal 2022 zu einem recht deutlichen Rückgang des privaten Konsums von minus 1 Prozent geführt. Bis zum dritten Quartal hatte der Konsum noch kräftig zugelegt, da die anhaltende Erholung von pandemiebedingten Rückgängen zunächst noch stärker wog als die Kaufkraftverluste. Insgesamt ist der Rückgang der privaten Konsumausgaben im vierten Quartal maßgeblich auf die rückläufigen Ausgaben für Freizeitaktivitäten (minus 7,5 Prozent), Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen (minus 7,6 Prozent) sowie für Lebensmittel, Getränke und Tabakwaren (minus 3,6 Prozent) zurückzuführen. Der Nachfrageüberhang nach der Pandemie habe im konsumnahen Bereichen einen spürbaren Anstieg der Gewinnmargen ermöglicht. Spätestens im zweiten Halbjahr 2023 sei damit zu rechnen, dass mit dem Anstieg der Reallöhne auch der Konsum wieder zunehme.
Langsame Besserungen erwartet
Die Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen insgesamt mit einer besseren wirtschaftlichen Lage. Sie hoben die Konjunkturprognose für 2023 an. Gerechnet wird nun mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland um 0,3 Prozent. Im Herbst hatten die Institute noch mit einem Rückgang um 0,4 Prozent gerechnet. Der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr dürfte glimpflicher ausgefallen sein als im Herbst befürchtet, so Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Maßgeblich sei ein geringerer Kaufkraftentzug wegen deutlich sinkender Energiepreise.
Inflationsrate flacht nur stockend ab
Die Inflationsrate werde aber nur langsam zurückgehen von 6,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 6,0 Prozent in diesem Jahr. Erst im kommenden Jahr lasse der Inflationsdruck nach. Die Inflationsrate sinke auf 2,4 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt steigt 2024 laut der sogenannten Gemeinschaftsdiagnose um 1,5 Prozent. Die Analyse wird von vier Instituten zweimal im Jahr erstellt, im Frühjahr sowie im Herbst. Beteiligt sind das Ifo-Institut, das Kiel Institut für Weltwirtschaft, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und das RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen.
Dämpfend auf die Konsumnachfrage wirkten weiterhin Zinserhöhungen, weitere Anpassungen der Zinssätze durch die EZB seien zu erwarten. Die gute Lage auf den Arbeitsmärkten sowie Auflösung der weltweiten Lieferkettenprobleme stützten indes die Konjunktur.
Energiesubventionen sind kritisch zu betrachten
Eine Gasmangellage sei für den Winter 23/24 nicht auszuschließen. Wichtig ist aus Sicht der Forscher, die Inflation nicht mit weiteren staatlichen Programmen zu befeuern, die Politik müsse eine restriktive Finanzpolitik verfolgen. Mit Blick auf die Energiewende und die Heizungsdebatte mahnte Prof. Tomi Holtemöller (IWH), subventionierte Energiepreise seien kontraproduktiv und schwächten andere Bereiche der Wirtschaft. Der Preis habe sich als sehr wirksames Instrument erwiesen, um den Energieverbrauch und die Energieeffizienz zu erhöhen.
Hilfspakete helfen nicht zu mehr Wachstum
Prof Stefan Kooths (IfW Kiel) verglich die mittelfristige Lage der deutschen Wirtschaft mit dem Tempo einer Pferdekutsche, "bei der die Zahl der Zugtiere zurückgeht, aber immer mehr Kraftfutter verfüttert wird und immer mehr Passagiere mitfahren wollen. Nun geht es darum, Ballast abzuwerfen und die Räder zu ölen". Was aber nicht helfe, seien staatliche Konjunkturprogramme. "Das sind Peitschenhiebe, die nur kurzfristig stimulieren." Er warnte vor "geldpolitischem Dauerdoping. Das führt nicht zu mehr Wachstum". Auch eine durchgreifende Dekarbonisierung bedeute nicht, dass man ein "Wachstumswunder obendrauf erhält", dies sei eine Illusion. Für die Transformation des Energiesektors müssten beispielsweise Arbeitskräfte aus anderen Bereichen abgezogen werden, solches Wachstum gehe also zulasten anderer Sektoren.
Kooths sagte auch, der Staat müsse sich bei seinen Ausgaben zurücknehmen, um nicht auf den Arbeits- und Gütermärkten den Preisdruck zu befeuern. Stabilitätsgerechtes Agieren umfasse auch die Einhaltung der Schuldenbremse. Er könne zudem keine Gewinninflation feststellen, hohe Margen seien nur Symptom der Inflationsentwicklung.
Dieser Text erschien zuerst auf www.lebensmittelzeitung.net.